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König Mohammed VI

17 Jun

König Mohammed VI kam nach dem Tod seines Vaters Hassan II im Juli1999 auf den marokkanischen Thron. Dieser Wechsel stand ganz unter dem Zeichen des Wandels, viele Marokkaner hofften auf eine weniger repressive und offenere Regentschaft durch jungen Thronfolger, der sich gerne als modern und weltoffen inszeniert. Während die beiden Ehefrauen seines Vaters Hassan II kaum eine öffentliche Rolle innehatten, nimmt die Gattin Mohammed VI, die Informatikerin Salma Bennani in ihrer Rolle als Marokkos erster First Lady viele karitative und repräsentative Aufgaben wahr. Tatsächlich gilt M6, wie er im Volksmund oft genannt wird, gerade bei den westlichen Mächten als Vorzeige- Monarch, der Marokko zu einer demokratischen Zukunft führt. Neben einer Reform der Familiengesetzgebung, welche Frauen fast die gleichen Rechte zugesteht wie Männern, verwirklicht er vor allem Prestigeprojekte, die einer (oft sowieso schon privilegierten) Minderheit zu Gute kommen, sich jedoch medienwirksam in Szene setzen lassen. Beispiele hierfür sind der TGV Tanger- Casablanca, das umstrittene Mawazine- Festival in Rabat, oder die seit wenigen Wochen in Rabat fahrende Straßenbahn. Das Projekt einer Formel 1-Strecke in Marokko hat der Liebhaber schneller Autos inzwischen aufgegeben- es erschien ihm zu teuer. Während der König laut Forbes-Magazin der siebtreichste Monarch der Welt ist, liegt das BIP pro Kopf in Marokko bei unter 2500 €.
Der Königsfamilie ist Besitzer der ONA- Gruppe (Omnium Nord-Africaine), einer Holding die Anteile an den größten marokkanischen Unternehmen in den Bereichen Rohstoffe, Telekommunikation, Agrarlebensmittel, Handelsketten usw. besitzt. Dies so wie seine in der marokkanischen Verfassung verankerte Rolle als Oberhaupt der Gläubigen („Amir Al Mouminin“) geben ihm uneingeschränkte Macht. Die Forderungen der Bewegung des 20. Februars danach, dass der König regiere und keine Politik mache („Le roi regne et ne gouverne pas“) zielt auf genau diese Konzentration politischer, religiöser, militärischer, Rechtssprechender und wirtschaftlicher Macht ab.
Seine Rolle als Vertreter Gottes auf Erden gibt ihm bereits zu Lebzeiten den Status eines Heiligen und stellt ihn über sämtliche politischen Institutionen und somit außerhalb jeglicher Kontrollinstanzen. Als Angehöriger der Alawiden- Dynastie gilt er als Nachfahre des Propheten Mohammeds, ein Aspekt mit dem seine absolute Macht gerechtfertigt wird. Ihn oder Mitglieder der Königsfamilie öffentlich zu kritisieren oder in ein schlechtes Licht zu stellen steht unter Strafe. Verhaftungen von Marokkanern, die öffentlich die Monarchie diffamierten, sind keine Ausnahme. So wurde beispielsweise 2009 der Journalist Driss Chahtane zu einer Gefängnis- und Geldstrafe für seinen Artikel über die Gesundheit des Königs verurteilt, ein Jugendlicher, der aus Spaß ein falsches Facebook- Profil Moulay Rachids, der Bruder des Königs erstellt hatte, musste ebenfalls ins Gefängnis.
Genau dieser Aspekt macht es oft schwer zu unterscheiden, ob das „Wir lieben unseren König“ aus Angst oder aus Überzeugung geäußert wird, wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem. Auf die Frage warum der König denn so großartig sei, werden häufig die hier aufgeführten Prestigeprojekte genannt. „Der König macht viel für sein Land, schau dir die Autobahnen an, vorher gab es die noch nicht“, sagt zum Beispiel der Fahrer eines Grand Taxis zwischen der Wirtschaftsmetropole Casablanca und der Hauptstadt Rabat. Inwiefern diese Projekte ihm persönlich nutzen, kann er nicht präzisieren, aber er verweist darauf, dass sie gut für das Bild Marokkos seien und zeigten, dass es den Marokkanern viel besser geht als den Nachbarn in Tunesien, Algerien oder in anderen arabischen Ländern. „Es stimmt schon, wir haben viele Probleme in Marokko, zu wenig Krankenhäuser, zu viel Korruption, aber dafür kann der König doch nichts, das sind die Leute um ihn herum, die dafür verantwortlich sind“ spricht er weiter. Das Argument, nicht der König sondern dessen Umfeld sei schuld an den Mängeln in der Gesundheitsversorgung, der Bildungspolitik, der öffentlichen Verwaltung usw. hört man oft. Die unter dem Begriff Makhzen zusammengefasste politische, ökonomische, sowie militärische Elite des Landes ist beim Großteil des Volkes unbeliebt und steht für ein repressives und auf Vetternwirtschaft statt auf Verdienst basierendes System.
Die Institution der Monarchie hat jedoch eine andere nicht zu unterschätzende Funktion, nämlich die als Symbol für die nationale Einheit des Landes. Marokko ist ein Land verschiedener Identitätsgruppen, für welche die Zugehörigkeit zum Staat Marokko oft zweit- oder drittrangig ist. An erster oder zweiter Stelle steht für viele Marokkaner die Zugehörigkeit zum Islam oder zu einer bestimmten Ethnie. Letzteres gilt vor allem für die Amazigh, auch Berber genannt. Sie stellen etwa die Hälfte der marokkanischen Bevölkerung dar und lassen sich je nach Herkunftsregion noch mal in drei Subgruppen einteilen (Souss im Süden Marokkos, Rif im Norden und Atlas im Osten). Dazu kommt das Gebiet im Süden Marokkos, dessen offizielle Zugehörigkeit international immer noch nicht klar ist.
„Wer die Abschaffung der Monarchie fordert, versteht Marokko nicht“, erklärt mir ein Aktivist des 20. Februars, „die Leute hier verbindet außer der Monarchie und dem Islam kaum etwas, würde die Monarchie wegfallen, würde jede Region ihre Autonomie anstreben und es käme zum Chaos. Der König kann ruhig bleiben, er soll aber den Großteil seiner Macht abgeben und sich vor allem in der Politik zurückhalten.“
Gerüchten zufolge wird der sakrale Status des Königs in der neuen Verfassung nicht mehr existieren, auch die Ernennung der Walis (Distriktvorsteher) soll nicht mehr durch ihn sondern durch demokratische Wahlen erfolgen. Inwiefern dies zutrifft, wird sich bald zeigen, für heute Abend ist eine Rede König Mohammed VI angekündigt, in welcher er sich zu der von der Verfassungskommission ausgearbeiteten Reform äußern wird. Inwiefern Ankündigungen und Versprechungen umgesetzt und neue Gesetze angewendet werden, ist eine andere Frage.