„Ich werde Ja sagen zu diesem Projekt (der Verfassungsreform, AdR), denn ich bin überzeugt dass es durch sein demokratisches Wesen einen wichtigen Impuls zur Suche nach einer endgültigen Lösung für die gerechte Angelegenheit der Marokkanität unserer Sahara geben wird, auf der Grundlage unserer Autonomitätsinitiative.“
Mit diesem Satz beendete der marokkanische König Mohammed VI seine Rede an die Nation vom 17. Juni, in welcher er die großen Linien der Verfassungsreform vorstellte. Über die vom Monarchen vorgestellte Verfassung wird heute am 1. Juli – nur zwei Wochen nach ihrer Veröffentlichung- in einem Volksentscheid abgestimmt. Die Marokkaner können, so sie auf einer Wählerliste eingeschrieben sind, dafür oder dagegen stimmen oder gar nicht erst wählen gehen – zumindest in der Theorie. In der Praxis ist Marokko seit jenem Freitag vor zwei Wochen eine rot-grüne Farbenlandschaft und die altbekannten Fotos die den Monarchen bei der Jagd, beim Kaffeetrinken oder in einer anderen gewollt volksnahen Pose zeigen und die in den meisten Geschäften, Frisiersalons oder Cafés gut sichtbar aufgehängt sind, haben sich mindestens verdoppelt.
In Rabat sind seit einigen Tagen an mehreren öffentlichen Plätzen Bühnen aufgebaut, auf denen abends verschiedene Musikgruppen aus den unterschiedlichen Regionen Rabats das Volk unterhalten und ebenfalls zum „Ja zur Verfassung“ aufrufen. In den Nationalfarben rot und grün gewandete junge Männer rasen die marokkanische Fahne schwingend und dazu lauthals johlend in Kleinlastern, Mopeds oder ganzen Bussen durch die Hauptverkehrsadern rasen. Die Propaganda des Staates läuft also auf Hochtouren, es wird vor allem auf die wehrlosen Glieder der Gesellschaft gesetzt. So werden den fliegenden Händlern, sonst von der Polizei entweder verjagt oder zu „Sonderzahlungen“ aufgefordert, T-Shirts mit dem Slogan „Wir unterstützen die neue Verfassung“ ausgeteilt.
Die laufenden Kampagnen der Regierung stellen die Person des Königs nicht nur in den
Vordergrund, sondern knüpfen sie auch an die Wahlentscheidung. Es entsteht der Eindruck dass ein „Nein“ keine sachlich begründete Ablehnung des Verfassungstextes, sondern ein Votum gegen die Monarchie an sich ist. So sind neben den Transparenten „Sagt JA zur Verfassung“ nahezu überall Porträts Mohammed VI zu finden. Auch die Koppelung der Zustimmung zur Verfassungsreform an das in Marokko hochsensible Thema der Westsahara hat eine Ablehnung des Textes für viele Marokkaner quasi unmöglich gemacht. Wer es in Marokko wagt, offene Zweifel an der Westsahara-Politik der Regierung zu äußern, wird als unpatriotisch bezeichnet und nicht selten als von der Polisario bezahlter Verräter dargestellt. Nach den Parteien sind inzwischen auch diverse Wirtschaftsorganisationen, der Verband der Banken sowie unzählige kleinere Kooperativen, Läden oder Cafés dem Aufruf gefolgt, sich öffentlich für die von der Monarchie vorgelegten Reformen auszusprechen. Sämtliche Imame des islamischen Landes haben zudem beim Freitagsgebet vergangener Woche zum „Ja“ aufgerufen – der landesweit vorgelesene Text wurde vom Ministerium für religiöse Angelegenheiten verschickt.
Kampagnen die zu einem Nein aufrufen gibt es nicht, die Mobilisierung zum Boykott des Referendums, zu welchem die Bewegung 20. Februar aufruft, läuft vor allem über Pressemitteilungen und youtube-Videos. Immer wieder ist von Fällen zu hören, in denen kritische Journalisten aus Diskussionssendungen wieder ausgeladen werden oder diese aufgrund „technischer Schwierigkeiten“ kurzfristig abgesagt werden müssen.
Mal ganz abgesehen vom Inhalt des neuen Verfassungstextes – was sagen diese organisierte Propaganda, diese Unterstützungsbekundungen von wirtschaftlichen und religiösen Eliten sowie der mit zwei Wochen für intensive Analysen und Debatten eindeutig zu kurze Zeitraum zwischen der Veröffentlichung des Textes und dem Referendum – was sagen diese Vorgänge und Entscheidungen über den Willen zu einem demokratischen Wandel aus? Weder beinhalten die öffentlichen Befürwortungen der Reformen kritische Analysen oder regen zu Diskussionen an, noch ist der Zeitraum lang genug um sicher zu stellen, dass ein nicht geringer Teil der Marokkaner ausreichend informiert ist – zum Beispiel darüber, dass das Referendum nur einen indirekten Zusammenhang mit der Monarchie hat.
Khalid Naciri, Kommunikationsminister und Regierungssprecher, sagte bereits einen Tag nach der Rede Mohammed VI, dass „wir auf die Zustimmung des Großteils der Bevölkerung vertrauen“. Und die Regierung hat in den vergangenen zwei Wochen alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sich dieser Zustimmung sicher zu sein. Ob es sich hierbei nur um die gewohnten Reflexe einiger Teile der Machtelite oder die bewusste Weiterführung der althergebrachten Methoden aus Zeiten Hassan II handelt, eines ist sicher: die Regierung verspielt ihre Chance, eine echte Legitimierung ihrer Politik einzuholen. Nicht Jede und Jeder die heute eine „Ja“-Stimme an der Urne abgeben wird, tut dies notwendigerweise aufgrund des sozialen Drucks oder finanzieller Anreize. Es gibt durchaus eine Reihe zivilgesellschaftlicher und politischer Akteure, die die neue Verfassung ernsthaft als Fortschritt begrüßen. Die massive Propagandakampagne und die gezielten Einschüchterungen der letzten Tage allerdings machen es unmöglich, die tatsächliche Stimmung in der Bevölkerung einzuschätzen. Damit verliert das Ergebnis des Referendums von vorneherein jegliche Glaubwürdigkeit.